|
|
 |
|
Angedacht |
 |
CVJM Annen |
November 2009 |
|
Die Legende vom vierten König |
|
Ausser Caspar, Melchior und Balthasar war auch ein
vierter König aus dem Morgenland aufgebrochen, um dem Stern zu folgen, der
ihn zu dem göttlichen Kind führen sollte. Dieser vierte König hieß Coredan.
Drei wertvolle rote Edelsteine hatte er zu sich gesteckt und mit den drei
anderen Königen einen Treffpunkt vereinbart. Doch Coredans Reittier lahmte
unterwegs. Er kam nur langsam voran, und als er bei der hohen Palme eintraf,
war er allein. Nur eine kurze Botschaft, in den Stamm des Baumes eingeritzt,
sagte ihm, dass die anderen drei ihn in Betlehem erwarten würden. Coredan
ritt weiter, ganz in seinen Wunschträumen versunken. Plötzlich entdeckte er
am Wegrand ein Kind, bitterlich weinend und aus mehreren Wunden blutend.
Voll Mitleid nahm er das Kind auf sein Pferd und ritt in das Dorf zurück,
durch das er zuletzt gekommen war. Er fand eine Frau, die das Kind in Pflege
nahm. Aus seinem Gürtel nahm er einen Edelstein und vermachte ihn dem Kind,
damit sein Leben gesichert sei. Doch dann ritt er weiter, seinen Freunden
nach. Er fragte die Menschen nach dem Weg, denn den Stern hatte er verloren.
Eines Tages erblickte er den Stern wieder, eilte ihm nach und wurde von ihm
durch eine Stadt geführt. Ein Leichenzug begegnete ihm. Hinter dem Sarg
schritt eine verzweifelte Frau mit ihren Kindern. Coredan sah sofort, dass
nicht allein die Trauer um den Toten diesen Schmerz hervorrief. Der Mann und
Vater wurde zu Grabe getragen. Die Familie war in Schulden geraten, und vom
Grabe weg sollten die Frau und die Kinder als Sklaven verkauft werden.
Coredan nahm den zweiten Edelstein aus seinem Gürtel, der eigentlich dem
neugeborenen König zugedacht war. "Bezahlt, was ihr schuldig seid, kauft
euch Haus und Hof und Land, damit ihr eine Heimat habt !" Er wendete sein
Pferd und wollte dem Stern entgegenreiten - doch dieser war erloschen.
Sehnsucht nach dem göttlichen Kind und tiefe Traurigkeit überfielen ihn. War
er seiner Berufung untreu geworden? Würde er sein Ziel nie erreichen?
Eines Tages leuchtete ihm sein Stern wieder auf und führte ihn durch ein
fremdes Land, in dem Krieg wütete. In einem Dorf hatten Soldaten die Bauern
zusammengetrieben, um sie grausam zu töten. Die Frauen schrieen und Kinder
wimmerten. Grauen packte den König Coredan, Zweifel stiegen in ihm auf. Er
besaß nur noch einen Edelstein - sollte er denn mit leeren Händen vor dem
König der Menschen erscheinen? Doch dies Elend war so groß, daß er nicht
lange zögerte, mit zitternden Händen seinen letzten Edelstein hervorholte
und damit die Männer vor dem Tode und das Dorf vor der Verwüstung loskaufte.
Müde und traurig ritt Coredan weiter. Sein Stern leuchtete nicht mehr.
Jahrelang wanderte er. Zuletzt zu Fuß, da er auch sein Pferd verschenkt
hatte. Schließlich bettelte er, half hier einem Schwachen, pflegte dort
Kranke; keine Not blieb ihm fremd. Und eines Tages kam er am Hafen einer
großen Stadt gerade dazu, als ein Vater seiner Familie entrissen und auf ein
Sträflingsschiff, eine Galeere, verschleppt werden sollte. Coredan flehte um
den armen Menschen und bot sich dann selbst an, anstelle des Unglücklichen
als Galeerensklave zu arbeiten.
Sein Stolz bäumte sich auf, als er in Ketten gelegt wurde. Jahre vergingen.
Er vergaß, sie zu zählen. Grau war sein Haar, müde sein zerschundener Körper
geworden. Doch irgendwann leuchtete sein Stern wieder auf. Und was er nie zu
hoffen gewagt hatte, geschah. Man schenkte ihm die Freiheit wieder; an der
Küste eines fremden Landes wurde er an Land gelassen. In dieser Nacht
träumte er von seinem Stern, träumte von seiner Jugend, als er aufgebrochen
war, um den König aller Menschen zu finden. Eine Stimme rief ihn: "Eile,
eile!" Sofort brach er auf, er kam an die Tore einer großen Stadt.
Aufgeregte Gruppen von Menschen zogen ihn mit, hinaus vor die Mauern. Angst
schnürte ihm die Brust zusammen. Einen Hügel schritt er hinauf, Oben ragten
drei Kreuze. Coredans Stern, der ihn einst zu dem Kind führen sollte, blieb
über dem Kreuz in der Mitte stehen, leuchtete noch einmal auf und war dann
erloschen. Ein Blitzstrahl warf den müden Greis zu Boden. "So muß ich also
sterben", flüsterte er in jäher Todesangst, "sterben, ohne dich gesehen zu
haben? So bin ich umsonst durch die Städte und Dörfer gewandert wie ein
Pilger, um dich zu finden, Herr?" Seine Augen schlossen sich. Die Sinne
schwanden ihm. Da aber traf ihn der Blick des Menschen am Kreuz, ein
unsagbarer Blick der Liebe und Güte. Vom Kreuz herab sprach die Stimme: "Coredan,
du hast mich getröstet, als ich jammerte, und gerettet, als ich in
Lebensgefahr war; du hast mich gekleidet, als ich nackt war!" Ein Schrei
durchbebte die Luft - der Mann am Kreuz neigte das Haupt und starb. Coredan
erkannte mit einemmal: Dieser Mensch ist der König der Welt. Ihn habe ich
gesucht in all den Jahren. - Er hatte ihn nicht vergebens gesucht, er hatte
ihn doch gefunden.
nach einer alten
russischen Legende |
|
|